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Communiqués The Urban Guerrilla and Class Struggle – April 1972 (German)

This is more or less the official internal history and manifesto of the Red Army Faction. It was written by Ulrike Meinhof with heavy editing by Gudrun Ensslin. Some sources list this document as having appeared in April of 1972, while others indicate that it appeared in 1974, while all of the leadership was jailed.

 

Der Tod ist jedem beschieden, aber nicht jeder Tod hat die gleiche Bedeutung. In alten Zeiten gab es in China einen Schriftsteller namens Sima Tjiän. Dieser sagte einmal: »Es stirbt allerdings ein jeder, aber der Tod des einen ist gewichtiger als der Tai-Berg, der Tod des anderen hat weniger Gewicht als Schwanenflaum.« Stirbt man für die Interessen des Volkes, so ist der Tod gewichtiger als der Tai-Berg; steht man im Sold der Faschisten und stirbt für die Ausbeuter und Unterdrücker des Volkes, so hat der Tod weniger Gewicht als Schwanenflaum.î 1

20000 Menschen sterben jedes Jahr – weil die Aktionäre der Automobilindustrie nur für ihre Profite produzieren lassen und dabei keine Rücksicht auf die technische Sicherheit der Autos und den Straßenbau nehmen.

5000 Menschen sterben jedes Jahr – am Arbeitsplatz oder auf dem Weg dahin oder auf dem Heimweg, weil es den Produktionsmittelbesitzern nur auf ihre Profite ankommt und nicht auf einen Unfalltoten mehr oder weniger. 12000 Menschen begehen jedes Jahr Selbstmord, weil sie nicht im Dienst des Kapitals hinsterben wollen, machen sie lieber selber mit allem Schluß. 1000 Kinder werden jedes Jahr ermordet, weil die zu kleinen Wohnungen nur dazu da sind, daß die Haus- und Grundbesitzer eine hohe Rendite einstreichen können. Den Tod im Dienst der Ausbeuter nennen die Leute einen natürlichen Tod. Die Weigerung, im Dienst der Ausbeuter zu sterben, nennen die Leute einen ìunnatürlichen Todî. Die Verzweiflungstaten der Menschen wegen der Arbeits-und Lebensbedingungen, die das Kapital geschaffen hat, nennen die Leute ein Verbrechen. Sie sagen: dagegen kann man nichts machen. Damit diese falschen Ansichten der Menschen nicht von richtigen Ansichten abgelöst werden, haben der Bundesinnenminister, die Innenminister der Länder und die Bundesanwaltschaft jetzt Exekutionskommandos der Polizei aufgestellt. Ohne die falschen Ansichten von Verbrechen und Tod kann das Kapital nicht herrschen. Petra, Georg und Thomas starben im Kampf gegen das Sterben im Dienst der Ausbeuter. Sie wurden ermordet, damit das Kapital ungestört weitermorden kann und damit die Leute weiterhin denken müssen, daß man nichts dagegen machen kann. Aber der Kampf hat erst begonnen!

1.

Persien und der Widerspruch in der neuen Linken

Brandt ist nach Teheran gefahren, um beim Schah die Reste von Verstimmung über seinen Empfang im Sommer í67 durch die westdeutschen und Westberliner Studenten auszuräumen; um ihm mitzuteilen, daß diese Linke in der Bundesrepublik und Westberlin tot ist, die Reste gerade liquidiert werden, die Konföderation iranischer Studenten ausreichend isoliert ist, die Ausländergesetze, die ihre Liquidation legalisieren werden, in Arbeit sind. Brandt hat seine Außen- und Innenpolitik als das definiert, was sie ist: die Außen- und Innenpolitik der Konzerne, die im In- und Ausland die Märkte beherrschen und die Politik bestimmen. Brandt in Teheran: Die Außenpolitik der Bundesrepublik müsse von ihren eigenen Interessen ausgehen und sich von ideologischen Vorurteilen frei halten. Die Interessen der Bundesrepublik in Persien sind die Interessen der deutschen Kolonie in Teheran, das sind: Siemens, AEG-Telefunken, Bayer, BASF, Hoechst, Daimler-Benz, Deutsche Bank, Mannesmann, Hochtief, Klöckner-Humboldt-Deutz, Merck, Schering, Robert Bosch, die Bayerische Vereinsbank, Thyssen, Degussa u.a. – das sind die, die in den Teheraner Tageszeitungen zur Begrüßung des Kanzlers inserierten, derentwegen der Schah der Tagespresse die Anweisung gab, den Kanzler als Friedensnobelpreisträger groß herauszubringen, die da sind, weil auch der Schah keine ideologischen Vorurteile hat: wegen der billigen Arbeitskräfte im Iran, wegen der politisch stabilen Verhältnisse im Iran, außerdem wegen der Rohstoffe und der Nähe bestimmter Märkte. Unter ìideologische Vorurteileî subsumieren Kanzler und Schah die Interessen des deutschen und persischen Volkes in den Beziehungen der beiden Länder. Drei Tage vor Brandts Ankunft wurden in Teheran vier Genossen ermordet, in Augsburg Thomas Weisbecker. Eine Woche nach Brandts Abreise wurden in Teheran neun Todesurteile gegen Genossen vollstreckt. Bundesanwalt Martin 2 lobte die Polizeibeamten, die sich bei der Großfahndung in Augsburg und Hamburg hervorragend bewährt hätten. Deutsches Kapital in Persien wird niedriger besteuert als anderes Kapital in Persien; deutsche Entwicklungshilfekredite finanzieren deutsche Projekte in Persien, mit deutscher Militärhilfe wurde das kaiserliche Arsenal in Persien modernisiert, 22 Millionen DM für die persische Rüstungsindustrie 1969 zogen 250-Millionen-DM-Folgeaufträge für die deutsche Rüstungsindustrie nach; mit G-3 und MG-3 sorgt das Regime des Schah – im Kampf gegen die ìKriminalitätî in Persien – dafür, daß auch in Zukunft die Löhne in Persien niedrig, die politischen Verhältnisse stabil, die Verwertungsbedingungen für deutsches Kapital im Iran günstig bleiben, daß Druck auf die Löhne hier mit der Drohung hantieren kann, man könnte ja auch mit der Produktion ins Ausland gehen, Druck auf die öffentlichkeit hier, antifaschistischer Protest gegen den Schah gefährde die deutsche Außenpolitik, die Interessen der Bundesrepublik Deutschland. Nach dem Kniefall des Kanzlers in Polen nun der Kniefall vor dem Mörder Schah. Die Unterwerfung des polnischen, russischen, tschechischen, ungarischen Volkes unter den deutschen Faschismus ist nicht mehr aktuell. Die Unterwerfung des persischen Volkes unter den deutschen Imperialismus ist aktuell. Die Nürnberger Gesetze sind nicht mehr aktuell. Gesetze gegen iranische Studenten, gegen griechische, türkische und spanische Arbeiter, die aus Ländern mit faschistischen Regimes kommen, sind aktuell. Deutsche Konzerne profitieren vom Faschismus in diesen Ländern, setzen die Arbeiter hier mit dem, was ihnen der Faschismus dort bietet, unter Druck. Die Todesurteile, die den inhaftierten Genossen hier erspart bleiben, bleiben ihnen erspart, weil sie in Persien, in der Türkei, in Griechenland und in Spanien vollstreckt werden. Die westdeutsche Linke hat zu Brandts Persien-Besuch geschwiegen. Sie hat ihn dort schwatzen lassen. Sie hat Howeida 3 schwatzen lassen, die Todesurteile richteten sich nur gegen einfache Kriminelle. Obwohl der Schah empfindlich ist. Obwohl schon das bißchen 2. Juni die Beziehungen Bundesrepublik-Iran gestört hat, obwohl die Reputation des Schah so kümmerlich ist, wie sie nur sein kann, obwohl man weiß, daß die Feinde des Volkes nichts so sehr fürchten, wie die Feinde des Volkes genannt zu werden. Obwohl man annehmen kann, daß auch Brandt nicht ganz wohl war bei dieser Heuchelei. Obwohl das deutsche Kapital faschistisch vorbelastet ist, obwohl es relativ leicht ist, den Zusammenhang zwischen Faschismus im Iran und deutschem Kapital im Iran darzustellen und es niemanden gibt, der diese Beziehungen, ohne selbst ins Zwielicht zu geraten, verteidigen kann. Mit ihrer Erkenntnis, daß nicht sie, die intellektuelle Linke, die Verhältnisse ändern kann, sondern nur die proletarischen Massen, nur die westdeutschen Massen die Konzerne enteignen können, die vom Faschismus des Schah profitieren, von denen der Faschismus des Schah profitiert, hat diese Linke aufgehört, den Faschismus des Schah, die Herrschaft des westdeutschen Kapitals in der Dritten Welt zu kritisieren. Mit der Erkenntnis, daß der Widerstand der westdeutschen Massen gegen die Herrschaft des Kapitals sich nicht an Problemen der Dritten Welt entzünden wird, sondern nur an den Problemen hier entwickeln kann, haben sie selbst aufgehört, die Probleme der Dritten Welt zum Gegenstand von Politik hier zu machen. Das ist der Dogmatismus und die Engstirnigkeit eines Teils dieser Linken. Die Tatsache, daß die Arbeiterklasse in Westdeutschland und Westberlin nur in nationalem Rahmen denkt und handeln kann, hebt die Tatsache nicht auf, daß das Kapital multinational denkt und handelt, ist vielmehr Ausdruck der Spaltung des Proletariats, Ausdruck von Schwäche. Eine Linke, die nur die Innenpolitik des Kapitals zum Gegenstand ihrer Kritik macht und seine Außenpolitik übergeht, hat selbst die Spaltung der Arbeiterklasse verinnerlicht, sagt der Arbeiterklasse nur die halbe Wahrheit über den Charakter des Systems, über die Politik des Kapitals, mit der die Arbeiterklasse es zu tun hat, alltäglich, in Lohnkämpfen, in absehbarer Zukunft. Das ist der Widerspruch in der Neuen Linken, daß ihre ökonomischen Analysen und politischen Einschätzungen gründlicher, radikaler und genauer sind als alles, was die westdeutsche Linke bis zur Rezession von 66/67 produziert hat, daß diese Linke das Ende der Rekonstruktionsphase, der Nachkriegszeit und das Erstarken des westdeutschen Imperialismus kennt, daß sie weiß, daß sie sich auf außerordentliche Klassenkämpfe vorzubereiten hat, daß sie aber, indem sie sich selbst propagandistisch und organisatorisch auf den nationalen Rahmen beschränkt, phantasielos und engstirnig ist in bezug auf das, was sie sich als revolutionäre Interventionsmethoden vorstellen kann. Ihre Versuche, dem antikapitalistischen Protest, der bis in die Schulen, die Gewerkschaften, die SPD reicht, eine wissenschaftliche Orientierung zu geben, ihre Positionen an den Hochschulen zu halten und auszubauen, sich den Marxismus anzueignen, ihn Lehrlingen und Schülern zugänglich zu machen, die Geschichte der Arbeiterbewegung aufzuarbeiten, in den Betrieben und Schulen Fuß zu fassen, die in diesen Aktivitäten sichtbare Bereitschaft, zu handeln und zu intervenieren, steht im Widerspruch dazu, daß ihr als Interventionsmethoden immer noch nur die einfallen, die die Arbeiterklasse in der Phase von Konkurrenzkapitalismus und Parlamentarismus entwickelt hat: als Rosa Luxemburg am Beispiel der Massenstreiks in Rußland 1905 die immense Bedeutung von Streiks im politischen Kampf erkannte und Lenin die Bedeutung des gewerkschaftlichen Kampfes. Es ist der Widerspruch zwischen ihrer Berufung auf die deutsche Arbeiterbewegung als ihrer eigenen Geschichte und der fortgeschrittenen Organisierung des westdeutschen Kapitals als westdeutschem Imperialismus als ihrer historischen Gegenwart. Wenn immer noch ein Teil der revolutionären Linken die RAF für die persönliche Angelegenheit von Baader und Meinhof hält und die Frage des bewaffneten Kampfes wie Howeida auf dem Terrain von ìBildî und ìBZî als Kriminalität diskutiert und uns zu diesem Zweck auch falsche Begründungen unterstellt, falsche Positionen anhängt, dann löst sie damit den Widerspruch nicht zwischen ihren Erkenntnissen vom Stand der Klassenkämpfe und ihren Vorstellungen von revolutionären Interventionsmethoden – dann schiebt sie als subjektives Problem auf uns ab, was ihr und uns objektives Problem ist. Dann verhält sie sich wie einer, der vor der Schwere der Aufgabe, die auf ihn zukommt, Angst hat – sie steckt den Kopf in den Sand und denkt nicht mehr nach. Die Verurteilung des Konzepts Stadtguerilla innerhalb eines Teils der Linken erfolgt viel zu oberflächlich und aus dem Ärmel geschüttelt, als daß wir uns damit abfinden könnten, die Lücke zwischen ihrer Einsicht und unserer Praxis einfach wuchern zu lassen, obwohl wir meinen, daß wir diese Lücke durch unsere Anstrengungen allein nicht schließen können. Den Anspruch, daß sie selbst sich an diesen Anstrengungen beteiligt, halten wir ihrem und unserem Selbstverständnis nach für gerechtfertigt. Wir haben vor einem Jahr gesagt: Stadtguerilla ist die Verbindung von nationalem und internationalem Klassenkampf. Stadtguerilla ist eine Möglichkeit, im Bewußtsein der Menschen die Zusammenhänge imperialistischer Herrschaft herzustellen. Stadtguerilla ist die revolutionäre Interventionsmethode von insgesamt schwachen Kräften. Einen Fortschritt im Klassenkampf gibt es nur, wenn die legale Arbeit mit illegaler Arbeit verbunden wird, wenn die politisch-propagandistische Arbeit die Perspektive bewaffneter Kampf hat, wenn die politisch-organisatorische Arbeit die Möglichkeit Stadtguerilla einschließt. Das soll hier konkretisiert werden: am Beispiel der Chemie-Arbeiterstreiks 1971, angesichts der objektiven Aktualität der sozialen Frage, der subjektiven Aktualität der Frage des kapitalistischen Eigentums und der Militarisierung der Klassenkämpfe in der Bundesrepublik und Westberlin.

ìIm gegenwärtigen Stadium der Geschichte kann niemand mehr bestreiten, daß eine bewaffnete Gruppe, so klein sie auch sein mag, bessere Aussichten hat, sich in eine große Volksarmee zu verwandeln, als eine Gruppe, die sich darauf beschränkt, revolutionäre Lehrsätze zu verkünden.î (aus: 30 Fragen an einen Tupamaro) 4

2.

Der Chemie-Arbeiterstreik 1971

Die großen Streikbewegungen 1971 in der chemischen Industrie und in der Metall-Industrie – die zu den fortgeschrittensten Industrien Westeuropas gehören – haben deutlich gemacht, was die Probleme der Arbeiterklasse in den nächsten Jahren sein werden. Sie haben eine große Bereitschaft zu kämpfen in der Arbeiterschaft gezeigt und gleichzeitig die ökonomische und politische Überlegenheit der Chemie- und Metallindustriellen der Arbeiterklasse gegenüber; sie haben die Komplizenschaft der Gewerkschaftsbürokratien mit der sozial-liberalen Regierung gezeigt und die Rolle dieser Regierung als ausführendem Organ dieses ìStaates der Konzerneî. Die Arbeiter haben die Streiks verloren. Sie hatten für 11 und 12 Prozent gestreikt, die Gewerkschaften haben sich auf 7,8 und 7,5 Prozent mit den Unternehmern geeinigt. Die Situation, auf die sich Sozialisten in der Bundesrepublik und Westberlin in den nächsten Jahren einzulassen und zu beziehen haben, ist durch das, was in diesen Streiks sichtbar geworden ist, gekennzeichnet: subjektiv verschärfte Kampfbereitschaft in der Arbeiterklasse, objektiv verminderte Kampfkraft; objektiv Lohnabbau, Verlust des ìsozialen Besitzstandesî, subjektiv mehr Bewußtsein vom Klassengegensatz, Klassenhaß. Die Stärke der Chemie-Industrie war ökonomisch das Resultat einer Entwicklung von Konzentration und Kapitalexport, zu dem die Wirtschaft Westeuropas insgesamt unter dem Druck der nordamerikanischen Konkurrenz gezwungen ist. Sie war politisch das Resultat der Lehren, die die westdeutsche Industrie aus dem Mai í68 in Frankreich und den wilden Streiks im September í69 gezogen hat, ihre Gegenoffensive gegen das in den Septemberstreiks sichtbar gewordene, erstarkte Klassenbewußtsein der Arbeiterschaft hier.

Konzentration

Die größeren amerikanischen Unternehmen können immer noch trotz höherer Löhne geringere Produktionskosten erzielen, aufgrund ihrer Größe und aufgrund ihres technologischen Vorsprungs. Hugh Stephenson von der ìTimesî: ìDas Problem der Größe gilt nicht so sehr für die Größe der Fabrikanlage, sondern darunter ist die finanzielle und wirtschaftliche Größe zu verstehen. Großer Umsatz allein bedeutet noch nicht viel. Er hat aber im Gefolge den Vorteil der beherrschenden Marktposition. Und das ist eine Prämie, ohne die die großen Kapitalinvestitionen in der modernen Industrie, selbst wenn sie nicht in den Bereich der fortgeschrittenen Technologie gehören, nicht befürwortet werden können. Die Art des Wettbewerbs zwischen Unternehmen in fortgeschrittenen Industriezweigen, wie Auto, Chemie und Erdöl, hat sich grundlegend geändert. Die Kosten neuer Investitionen sind so hoch, daß den betroffenen Gesellschaften eine stabilere zukünftige Nachfrage gesichert sein muß, als dies bei scharfem Wettbewerb möglich wäre. Unter diesen Umständen ist es unausbleiblich, daß sich die Industrie in Europa in der Zukunft in einer weiteren Phase der Konzentration zu wenigen und größeren Gruppierungen zusammenschließen wird.î (ìDie Weltî, 23.2.72)

Öffentliche Gelder

Konzentration ist die eine Sache. Der Zufluß öffentlicher Gelder für Forschungs- und Entwicklungsausgaben die zweite. Den nordamerikanischen Unternehmen stehen mehr Gelder dafür zur Verfügung durch ihre Größe und durch die permanente Rüstungswirtschaft der USA. 1963-64 gaben die USA 3,3 Prozent ihres Bruttosozialprodukts für Forschungszwecke aus – gegenüber nur 1,5 Prozent im Durchschnitt in Westeuropa. Hugh Stephenson: ìIn den Bereichen fortgeschrittener Technologie mit riesigen und immer noch steigenden Forschungs- und Entwicklungskosten wird Europa keinen Erfolg haben, wenn nicht der ständige Fluß öffentlicher Gelder gewährleistet ist.î Sei er das nicht, dann sei es besser, von Anfang an mit amerikanischen Firmen Korporationsabkommen zu schließen. Das ist der Druck, der heute von der Wirtschaft auf den Staat ausgeübt wird. Konzentration und staatliche Subvention sind zur Lebensfrage des kapitalistischen Westeuropa geworden.

Kapitalexport

Die dritte Sache heißt Kapitalexport, heißt Beteiligung an ausländischen Unternehmen und Errichtung eigener Produktionsanlagen im Ausland, zum Zwecke der billigeren Rohstoffbeschaffung, um das niedrigere Lohnniveau in anderen Ländern als Profit zu kassieren, um Transportkosten beim Warenverkauf auf ausländischen Märkten zu sparen. Weil die chemische Industrie an der Spitze dieser Entwicklung steht, hat der Chemie-Arbeiterstreik 1971 exemplarischen Charakter, kann an seinem Beispiel eine ganze Entwicklung begriffen werden, die von der Streikvorbereitung durch die Chemie-Arbeitgeber im Dezember í70 bis zum Rausschmiß von DKP-Lehrern aus dem Staatsdienst und der Umwandlung des Bundesgrenzschutzes in eine Bundespolizei reicht, vom Faschismus in der Bundesrepublik, der sich erst entfaltet, bis zur CSU-Machtergreifung beim Bayerischen Rundfunk, der Ablehnung, Mandel an die FU zu lassen 5, bis zum Vollzug der Todesstrafe an der Roten Armee Fraktion. Es ergibt sich daraus, daß in den nächsten Jahren tatsächlich immer mehr Menschen, und zwar aller Schichten, die Kapitaleigner ausgenommen, mit den kapitalistischen Eigentumsverhältnissen unzufrieden sein werden; und es ergibt sich daraus, daß es falsch, taktisch und strategisch falsch ist, die Eigentumsfrage nicht überall und andauernd als die Hauptfrage herauszustellen, da noch mit Wischi-Waschi-Argumentationen wie Mitbestimmung und ìWehret den Anfängenî herumzuhantieren. Das ergibt sich aus einer Entwicklung, die diejenigen, die davon profitieren, am wenigsten verschleiern können.

Bayer – BASF – Farbwerke Hoechst

Die Chemie-Industrie gehört zu den am stärksten konzentrierten Industrien Westdeutschlands. Der Umsatzanteil der drei IG-Farben-Nachfolger Bayer, Farbwerke Hoechst und BASF liegt bei 50 Prozent der Branche. Die drei Chemiekonzerne gehören zu den vier größten Aktiengesellschaften der Bundesrepublik. Von 597000 in der Branche Beschäftigten arbeiten allein 200000 bei den großen drei. Sie verfügen über mehr als 50 Prozent der unternehmenseigenen Forschungs- und Entwicklungsaufwendung der chemischen Industrie. Allein die BASF gliederte sich in den Jahren 1965-70 Unternehmen und Konzerne im Wert von 4 Milliarden Umsatz ein, das war mehr, als sie selbst 1965 umgesetzt hat. Über die Zusammenarbeit dieses Staates mit den Chemie-Konzernen heißt es im Bundesforschungsbericht 1969: ìGerade in der chemischen Industrie kann man von einer echten Arbeitsteilung zwischen staatlich geförderter Grundlagenforschung und Industrieforschung sprechen. Die chemische Industrie kann ihre bisherigen Wachstumsraten und ihre internationale Bedeutung nur aufrecht erhalten, wenn die (staatlich geförderte) Grundlagenforschung einen hohen Stand beibehält.î Kapitalexport in der chemischen Industrie heißt: Während die gesamte westdeutsche Industrie 1970 19,3 Prozent ihrer Umsätze im Ausland machte, waren es für die Farbwerke Hoechst 44 Prozent, für BASF 50 Prozent, für Bayer 56 Prozent. Sie produzieren u.a. in Südafrika, Portugal, der Türkei, dem Iran und Brasilien. An Portugal, die Türkei und den Iran gibt die Bundesrepublik gleichzeitig Militärhilfe. Daß diese Miltärhilfe dazu dient, die Kapitalverwertungsbedingungen des westdeutschen Kapitals in diesen Ländern zu sichern, d.h. das niedrige Lohnniveau zu halten, dagegen kämpfende Arbeiter zusammenzuschießen, weiß man. Bekannt ist inzwischen auch, daß diese Militärhilfe seit Mitte der 60er Jahre als Hilfe für den Ausbau von ìSicherungskräftenî, d.h. für die Polizei, gegeben wird, insofern der Anti-Guerilla-Krieg als Kampf gegen Kriminalität geführt wird, eine Sprachregelung, mit der behauptet werden kann: Es gibt keinen Widerstand, die Massen sind mit allem einverstanden, es gibt nur Kriminelle und Kriminalität. Amerikanische Militärhilfe an den Iran wurde gegeben zur Unterstützung des Kampfes gegen Rauschgifthandel und -schmuggel, Brandt hat keine ìideologischen Vorurteileî, wenn Todesurteile gegen Revolutionäre als Verurteilungen von Kriminellen ausgegeben werden. Scheel 6 formulierte kürzlich erst das gemeinsame Interesse der Bundesrepublik mit der brasilianischen Militärjunta gegen ìTerrorismusî und ìsubversive Aktivitätenî, das war beim Abschluß des Vertrages, der der Bundesrepublik den Zugang zu brasilianischen Uranvorkommen sichert, das galt den lateinamerikanischen Guerillas, die der BASF Bomben ins Haus legen. Die westdeutsche Chemie kontrolliert zusammen mit amerikanischen Konzernen fast den gesamten chemischen und pharmazeutischen Markt im Iran. Der Iran hat die höchsten Wachstumsraten der westlichen Welt; Südafrika die höchsten Profitraten – VW z.B. zahlte im Durchschnitt der letzten Jahre 30 Prozent Dividende, 1968 sogar 45 Prozent. Die westdeutsche chemische und pharmazeutische Industrie beherrscht den südafrikanischen Markt zu 10 bis 12 Prozent allein schon mit den dort von ihr produzierten und verkauften Waren.

Druck auf die Löhne, Herabsetzung des Lohnkostenanteils am Umsatz wird erreicht durch die Ausnutzung des niedrigen Lohnniveaus im Ausland, durch Gastarbeiter, durch Investitionen im Inland, die in der chemischen Industrie in den letzten Jahren zu 75 Prozent der Kapazitätserweiterung und Rationalisierung dienten, zur Freisetzung von Arbeitskräften. In Zahlen: Während die Beschäftigtenzahl in der chemischen Industrie von 1950 bis í70 um nur 100 Prozent stieg, stiegen die Umsätze um 636 Prozent. Allgemein besteht die Tendenz, die Beschäftigtenzahlen zu senken. Die Schließung der Phrixwerke hat Schlagzeilen gemacht. Hüls kündigte in diesem Februar an, daß es 1972 die Belegschaftsstärke um 3 bis 4 Prozent senken werde. Die Chemie-Industriellen sprechen von der ìzunehmenden Bedeutung der Arbeitskostenbelastungî. Sie meinen: Entlassungen und Herabsetzung der Löhne. Sie gingen in die Tarifrunde 1971 mit der Absicht, ihre Vorstellungen von ìArbeitskostenbelastungî durchzusetzen, d.h. die Arbeiterklasse mit einem massiven Angriff in die Defensive zu treiben.

Die Stärke der Kapitalistenklasse

Konzentration als Voraussetzung für eine starke Verhandlungsposition des Kapitals bedeutet: einheitliches Handeln der Arbeitgeber, insofern die Arbeitgeberverbände von denen beherrscht werden, die den Markt beherrschen: Bayer, BASF und Hoechst; Kapitalexport bedeutet Stärke, insofern die Arbeiterklasse, die den Chemie-Industriellen gegenüberstand, nicht die einzige mehrwertproduzierende der chemischen Industrie ist. Indem die Aufhebung der Konkurrenz unter den Lohnabhängigen im Arbeitskampf in den Nationalstaatsgrenzen immer noch ihre faktische Grenze hat, legt der Streik die Mehrwertproduktion für das Kapital nur teilweise still. Während die Arbeiter alles aufs Spiel setzen, steht für das Kapital nur ein Teil auf dem Spiel. Darüber, daß die Chemie-Industriellen ihre Stärke in den Tarifverhandlungen rücksichtslos ausspielten, politisch einzusetzen wußten, gibt es überhaupt keinen Grund zu jammern. Es ist falsch, eine spezifische Bosheit der Chemie-Industriellen darin zu sehen, daß sie bestrebt sind, das Lohnniveau durch Ausnutzung der Sklavenarbeit in Afrika, Asien und Lateinamerika zu drücken, sich durch Investitionen Arbeitskräfte vom Hals zu schaffen, sich durch Konzentration ökonomische und politische Handlungsfreiheit und Flexibilität zu sichern. Die Brutalität ihrer Handlungen als Ausbeutung, als politische Unterdrückung, als das Bestreben, die Reproduktionskosten der Ware Arbeitskraft auf ein Minimum zu drücken, entspricht der Rationalität des Systems, als Druck der nordamerikanischen Konkurrenz auf die Wirtschaft Westeuropas, der Rationalität der Branche, ihrer Produkte und Märkte – sie ist als Unmenschlichkeit und Verbrechen dem System immanent und wird nur mitsamt dem System abgeschafft oder gar nicht. Die Chemie-Industriellen hatten die Streiks bis ins Detail vorbereitet, sie, nicht die Gewerkschaften, wollten den Streik, und sie, nicht die Gewerkschaften, haben den Streik gewonnen. Die Arbeiter erlitten eine Niederlage. Sie hatten, mit verteilten Rollen, alle gegen sich: das Kapital, die Regierung, die Gewerkschaftsbürokratien.

Die Vorbereitung der Streiks

Im Februar í71 kündigten die Gewerkschaften die Tarife für Hessen, Nordrhein und Rheinland-Pfalz zum 31. März und forderten 11 bis 12 Prozent, für Hessen linear 120,- Mark, das heißt für Hessen: Lohnerhöhung für alle Lohngruppen gleich, Einfrieren der Lohnschere, ein Schritt zur Herstellung von Einheit für die Arbeiterklasse. Die Chemie-Industriellen machten kein Angebot. Im Dezember í70 schon hatten die Chemie-Industriellen die ìgegenseitige Hilfeleistungî der Unternehmen im Fall eines Streiks vorbereitet. Das war die Übernahme von Lohnaufträgen zu Be- und Verarbeitung von Rohstoffen, Vor-und Zwischenprodukten, die Zuverfügungstellung von Produktionseinrichtungen und Transportmitteln; das war die Bevorratung ihrer Produkte bei ihren Abnehmern für wenigstens acht Wochen, das ging bis runter zu den Apotheken und Universitäten – der Rektor der Universität Düsseldorf forderte z.B. die Institute und Seminare auf, sich vorsorglich einzudecken. Betriebliche Maßnahmen waren detailliert ausgearbeitet: Betriebsanleitungen für Streikbrecher, die Anlage abhörsicherer Telefone, die namentliche Erfassung von gewerkschaftlichen Vertrauensleuten, Druckmöglichkeiten für Flugblätter, Kontakte zur Lokalpresse und örtlichen Meinungsträgern wie Lehrer, Pfarrer, Vereine; namentliche Erfassung ìpolitischer Untergrundkräfteî zur Weitergabe an Verfassungsschutz und Polizei, Kontakte zur Polizei, zu Regierungsstellen, zu Innenministern. Argumentationsketten waren vorbereitet wie ìGefährdung der Arbeitsplätze durch Streikî etc. Die gewerkschaftlichen Vertrauensleute der Farbwerke Hoechst hatten im Dezember í70 eine Mitgliederbefragung zu den bevorstehenden Tarifverhandlungen verlangt. Die Tarifkommission – aus Vertretern der IG Chemie und Betriebsräten der Großbetriebe – lehnte das ab. Das Abstimmungsergebnis, mit dem Arbeitermitbestimmung abgelehnt wurde, war nicht einmal knapp: 4 gegen 1. Die gewerkschaftlichen Vertrauensleute von Merck, Darmstadt, stellten die Forderung 160 Mark oder 12 Prozent auf. Auch sie kamen in ihrer Tarifkommission nicht durch.

Staatliche Unterstützung für die Kapitalistenklasse

Staatliche Unterstützung hatten die Arbeitgeberverbände. Die ursprünglich auf 9 Prozent projektierte Lohnleitlinie wurde zu Jahresbeginn auf 7,5 Prozent reduziert. Brandt am 11. Mai im Bundestag: ìZu starke Lohnkosten könnten in dieser Phase die Gefahr von Unterbeschäftigung hervorrufen.î Die Sachverständigen stellten in ihrem Sondergutachten zur Unterstützung der Chemie-Industriellen fest, daß ìeine sehr langsame Verminderung der Lohnsteigerungsrateî nicht ausreicht, sondern ìeine Zäsur notwendig istî (Mai í71). Im Mai kamen die Chemie-Industriellen mit einem Angebot von 5 Prozent heraus. Im Mai ließ die IG Chemie in ihren Pressemitteilungen durchblicken, daß sie nicht auf 11 bis 12 Prozent beharren würde, daß sie auch mit 8 oder 9 Prozent zufrieden wäre.

Der Verrat von Rheinland-Pfalz

Am 24. Mai aber wurde in Rheinland-Pfalz – zur Überraschung der Öffentlichkeit – ein Tarifvertrag abgeschlossen über 7,8 Prozent für zehn Monate, das sind bei einer faktischen Laufzeit von zwölf Monaten 6,5 Prozent, weniger also als Schillers Orientierungsdaten. In Rheinland-Pfalz herrscht die BASF. Die BASF brauchte keinen Streik. Auch bei Bayer und Hoechst wurde später nicht gestreikt. Die Belegschaften der Großbetriebe brauchten die Demütigung der Streikniederlage nicht, sie werden durch ein vielfach gefächertes Pazifierungssystem diszipliniert: Werkswohnungen, scheinbare Gewinnbeteiligung, Ausbildungsbeihilfen, ein betrieblicher Vertrauensleutekörper neben dem gewerkschaftlichen, eine Arbeitsorganisation, die die Belegschaften hundertfach in räumlich getrennte Betriebseinheiten spaltet, ein Lohnsystem, das sie nach Lohngruppen spaltet, Leichtlohngruppen, die sie nach Männern und Frauen spalten. Das Flugblatt, das die IG Chemie zu diesem Abschluß an ihre Mitglieder verteilte, verteilten in Hessen die Chemie-Industriellen an ihre Belegschaften. Die Tarifkommissionen in Nordrhein und Hessen gaben sich empört über den Abschluß in Rheinland-Pfalz. Sie redeten von Kampfmaßnahmen, ohne sie vorzubereiten. Die IG Chemie forderte ihre Mitglieder lediglich auf, ihre Beiträge in Ordnung zu bringen und neue Mitglieder zu werben.

Streik

Am Widerstand der Chemie-Industriellen scheiterte schließlich die Bundesschlichtung für Nordrhein, für Hessen, später für Westfalen und Hamburg. Nach dem Scheitern der Bundesschlichtung begannen die Streiks. Von Anfang Juni bis Anfang Juli waren insgesamt 50000 Arbeiter in diesen vier Bezirken im Streik, 150000 beteiligten sich an Aktionen. In Nordhrein wurde für 9 Prozent gestreikt, in Hessen für eine lineare Erhöhung um mindestens 120 Mark, wenigstens 11 Prozent, in den anderen Bezirken für 11 und 12 Prozent. Es waren die ersten Streiks in der chemischen Industrie seit 40 Jahren, seit den Lohnkämpfen zu Anfang und Ende der 20er Jahre. Die organisatorische Initiative ging nicht von den Gewerkschaften, sie ging von den Arbeitern aus. Bei Glanzstoff, Oberbruch, ging sie von 120 Handwerkern aus, die am 3. Juni spontan die Arbeit niederlegten. Als später die Gewerkschaft die Lahmlegung von Schlüsselindustrien empfiehlt, schließen sich andere Abteilungen dem aktiven Streik spontan an. Bei Dynamit Nobel, Troisdorf, begannen die Aktionen mit einer spontanen Arbeitsniederlegung der Handwerker der Zündstoffabriken. Bei den Clouth-Gummiwerken, Köln, bei denen vier Wochen lang gestreikt wurde, fingen die Walzwerker an. Bei Degussa, Wolfgang, gingen die Handwerker von sich aus in kleinen Gruppen durch die Produktionshallen, um die Arbeiter zur Kundgebung von Betriebsrat und Vertrauensleuten zu holen. Bei Braun, Melsungen, fingen die Arbeiter im Apparatebau an. Bei Glanzstoff, Kelsterbach, begannen die Aktionen mit den Sitzstreiks einiger Spanier. Bei Merck, bei den Farbwerken Hoechst – überall gingen die Aktionen von kleinen, aktiven Gruppen aus. In einigen Betrieben ist den ganzen Juni über gestreikt worden. Am 8. Juni nahmen 10000 Arbeiter an einer Großkundgebung der IG Chemie in der Kölner Sporthalle teil. Am 14.6. war Aktionstag in Nordrhein: In 38 Betrieben streikten 19000 Arbeiter. Am 16.6. fand die zweite Großkundgebung der IG Chemie in Köln mit noch mal 10000 Arbeitern statt. Gleichzeitig beteiligten sich 16000 an Aktionen in Hessen – 4000 Arbeiter der Farbwerke Hoechst demonstrierten zu einer Kundgebung der Gewerkschaft, es war das erstemal seit 50 Jahren, daß bei Hoechst – wenn auch nur für ein paar Stunden – gestreikt wurde. Ende Juni streikten in Hessen, Nordrhein, Hamburg und Westfalen 38000 Arbeiter. Wenn man bedenkt, wie zweideutig die Gewerkschaftsbürokratien sich verhielten, daß die Initiative zu den Streiks von kleinen Gruppen ausging, dann sind das eindrucksvolle Zahlen. Aber bei Merck stellte sich erst unter dem Druck der Belegschaft der Betriebsratsvorsitzende hinter die Forderung der Gewerkschaft. Die Streikleitung bei Bayer, Leverkusen, kam mit ihrem Streikbeschluß bei der Streikbezirksleitung nicht durch. Viele wollten nicht streiken, weil ihnen die Forderung nicht hoch genug war. Viele wollten nicht streiken, weil sie meinten, am Ende gäbe es ja doch einen miesen Kompromiß. Daß es bei den Farbwerken Hoechst und bei Bayer, Leverkusen, – als den größten Betrieben in Hessen und Nordrhein – bei Einzelaktionen blieb, entmutigte viele. Das Pazifizierungssystem der Konzerne zahlte sich aus. Während die Arbeiter streikten, unternahmen die Chemie-Industriellen alles, um in der Offensive zu bleiben – blieben die Gewerkschaften defensiv. Der stärkste Druck auf die Arbeiter wurde mit der Behauptung ausgeübt, die Streiks seien illegal, weil keine Urabstimmung stattgefunden hätte – die IG Chemie ist gesetzlich nicht verpflichtet, Urabstimmungen abzuhalten, anders als die IG Metall. Bei Hoechst ist es mit dem Argument ìKein Streik ohne Urabstimmungî zu keinen Streiks gekommen. Die Streikleitung von Merck stellte die Frage des Rechts als Machtfrage im Klassenkampf: ìIm Arbeitskampf, das sagt schon das Wort, ist unser Recht aufgrund der Meinung der Mehrheit, der Streikenden nämlich, vorrangig.î Der IG Chemie fiel nur der Hinweis auf ihre Satzung ein. Den Chemie-Industriellen waren legale und illegale Mittel gleich recht: Bei Merck wurden Gerüchte verbreitet, es gäbe Verletzte, es seien Steine auf Werksschienen gelegt worden, ìbetriebsfremde Elementeî hätten Sabotage verübt, Streikposten seien mit Fahrradketten und Schlagringen bewaffnet. Bei Glanzstoff, Oberbruch, sind Gerüchte über Schießereien verbreitet worden. Polizeieinsätze verschafften Streikbrechern Durchgänge zu den Betrieben, bei Merck und bei Glanzstoff, Kripo fotografierte Streikposten, griff Streikposten an, Busse mit Streikbrechern fuhren in die Streikposten rein (Glanzstoff); die Unternehmensleitung von Merck störte den Funkverkehr zwischen den Streikposten, verstärkte den Werkschutz, Bereitschaftspolizei stand bereit, Betriebsfremde wurden als Streikbrecher geholt, ein Lager wurde aus dem Werksgelände ausgelagert. Bei Glanzstoff waren die Polizeieinsätze so hart, daß junge Polizisten zu weinen anfingen und durch ältere ersetzt werden mußten, bevor die Polizei den Streikbrechern den Weg freimachen konnte.

Klassenjustiz

Einstweilige Verfügungen der Arbeitsgerichte kamen dazu, um den Zugang von Streikbrechern in die Betriebe abzusichern, Polizeieinsätze zu legalisieren, Streikaktionen zu illegalisieren. Bei Merck schloß die IG Chemie nach Erlaß der Einstweiligen Verfügung einen Vergleich, der den Inhalt der Verfügung nicht außer Kraft setzte – Durchgang für Streikbrecher -, dafür die gerichtliche Intervention noch gewerkschaftlich sanktionierte. So fiel die Gewerkschaft den Arbeitern von Merck in den Rükken, deren Streikleitung zu der Einstweiligen Verfügung erklärt hatte: ìDas Auge des Gesetzes sitzt im Angesicht der herrschenden Klasse. (Ernst Bloch)î ìUns unterstellt die Geschäftsleitung die Gewalt, die von eben dieser Geschäftsleitung und nur von ihr ausging und ausgeht.î Die zu dem Vergleich erklärte: ìDer Vergleich täuscht ein Recht für sogenannte Arbeitswillige, das heißt von Streikbrechern, vor. Aber die Unternehmer weigern sich ganz entschieden, ein wirkliches Recht auf Arbeit zu gewähren. Wo blieb das Recht auf Arbeit in der Krise 1966/67?î Der Oberbürgermeister von Darmstadt verband die Neutralitätserklärung von Staat und Polizei mit der Drohung, daß doch wohl kein Arbeiter den Urlaub im Krankenhaus verbringen wollte. Den Arbeitern von Merck gelang es immer wieder, den Durchgang für Streikbrecher zu blockieren, gegen die Polizei, zeitweilig mit Unterstützung von Studenten. Indem sie ihren Streik offensiv führten, kamen keine Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit unter den Arbeitern auf. Unrechtmäßig dagegen war nach Beendigung der Streiks die Entlassung von 17 Lehrlingen und Jungarbeitern bei Merck. Während die Gewerkschaften sukzessive ihre Forderungen herabsetzten, während die Arbeiter streikten, erklärten die Chemie-Industriellen die Löhne kurzerhand als vom 1. Juni an um 6,5 Prozent erhöht. Ein Korruptionsversuch, der gegenüber den Arbeitern weitgehend mißlang. Den Machenschaften der Gewerkschaftsführung aber waren sie nicht gewachsen. Die schloß sich einem Kommunique der Konzertierten Aktion im Juni an, das einer Aufforderung gleichkommt, die Streiks mit einer Niederlage zu beenden: ìDie am Gespräch der Konzertierten Aktion Beteiligten werden in voller Eigenverantwortlichkeit auf Unternehmer und Gewerkschaften einwirken mit dem Ziel, daß alle Beteiligten sich nicht an den Preis- und Einkommenserwartungen des Booms orientieren, sondern an den Notwendigkeiten einer Phase der gesamtwirtschaftlichen Konsolidierung.î Damit kam es Anfang Juli zwischen dem Hauptvorstand der IG Chemie und den Chemie-Industriellen zum Abschluß: 7,8 Prozent = Lohnleitlinie = das Ergebnis von Rheinland-Pfalz. Die Streikleitung von Merck schickte ein Protesttelegramm an den Hauptvorstand, er möge zurücktreten. Bei den Clouth-Gummiwerken wurden die Gewerkschaftsvertreter bei Bekanntgabe des Abschlusses ausgepfiffen. Der Streik war beendet. Die Chemie-Industriellen hatten erreicht, was sie wollten. Sie wollten, daß der erste Streik in der Chemie-Industrie in seinem Verlauf und Inhalt von ihnen bestimmt wird, daß die erste Streikerfahrung der Chemiearbeiter dieser Generation die Erfahrung einer Niederlage ist, weil sie ìim Hinblick auf die zunehmende Bedeutung der Arbeitskostenbelastung mit der Möglichkeit rechnen, daß bei künftigen Tarifverhandlungen in der chemischen Industrie ernste Auseinandersetzungen, also u.U. auch Arbeitskämpfe nicht vermieden werden könnenî (aus: Hilfeleistung im Arbeitskampf) – weil für die Chemie-Industriellen dieser Streik keine vereinzelte Erscheinung war, sondern eine Etappe in einer langfristigen Strategie im Kampf gegen die Arbeiterklasse. Mit den Worten des Sprechers der Deutschen Bank, Ulrich: ìEs bedarf mehrerer Schritte, die allerdings jeweils groß genug sein müssen, um bald das Ziel – Steigerungsraten von nur noch zwei oder drei Prozent – zu erreichen.î (Februar í72) Die Arbeiter haben nicht erreicht, was sie wollten: mehr Einheit – das war der Inhalt der 120-Mark-Forderung in Hessen; Lohnerhöhungen, die nicht hinter den Preissteigerungen zurückbleiben – das war der Inhalt der Streikbewegung; Geschlossenheit – mit, nicht ohne die Arbeiter von Bayer, BASF und Hoechst; Erfolg. Sicher ist dieser Tarifabschluß Ausdruck des gegenwärtigen Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen. Wobei man sagen kann, das Kapital hat fast alles in der Hand, die Arbeiter fast nichts. Die Seite des Kapitals ist geschlossen und ìkonzentriertî, die Arbeiterklasse vielfältig gespalten; das Kapital hat starke Organisationen, die es fest in der Hand hat, die Arbeiter Gewerkschaften, die sie nicht in der Hand haben, deren Bürokratie und Führung eine arbeiterfeindliche Politik macht, zusammen mit der jetzigen Regierung; das Kapital hat den Staat, die Arbeiterklasse hat ihn gegen sich; das Kapital ist international organisiert, die Arbeiterklasse kann immer noch nur im nationalen Rahmen handeln; das Kapital hat eine klare, langfristige Strategie und propagiert sie in allen Bereichen, ist entschlossen, den Angriff auf die Arbeiterklasse zu führen. Die Arbeiterschaft wird dem ihre Wut entgegenhalten – das ist aber auch alles, was sie dann hat.

Die Militarisierung der Klassenkämpfe

Trotz dieser Stärke des Kapitals, trotz dieser Schwäche der Arbeiterklasse rüstet der Staat auf, bereitet die Militarisierung der Klassenkämpfe vor. Die politischen Maßnahmen entsprechen den ökonomischen Fakten: der Aggressivität des Kapitals. Die politischen Fakten signalisieren den Umfang und die Schärfe des Angriffs. Je weniger sich das Allgemeinwohl aus der Politik des Kapitals von selbst ergibt, als Wohlstand, wachsende Einkommen, Verbesserung der Lebensbedingungen aller, desto mehr muß getrommelt werden, desto weniger kann man sich Kritik an den Maßnahmen des Kapitals mehr leisten: Deshalb werden überall kritische Journalisten gefeuert, deshalb werden die Schulen von Linken gereinigt, deshalb greift die CSU zum Bayerischen Rundfunk, und das kann nur der Anfang der Gleichschaltung der ARD-Anstalten mit dem ZDF sein – auch wenn es in anderen Bundesländern nicht so schnell gehen kann. In dem Maß, in dem die Loyalität der Massen gegenüber dem System nicht mehr erkauft werden kann, muß sie erzwungen werden, nicht mehr freiwillig erfolgt, wird Gewalt angedroht: wird der Bundesgrenzschutz in eine Bundespolizei umgewandelt und von 23000 Mann auf 30000 vergrößert; wird die Polizei mit Maschinenpistolen ausgerüstet, soll sich der Bürger an den mit einer MP bewaffneten Bullen an der Kreuzung gewöhnen wie ans Steuerzahlen, wird das Haftrecht verschärft, werden Notstandsübungen durchgeführt, bei denen scharf geschossen wird, werden Genossen in U-Haft genommen, wird an RAF-Verdächtigen die Todesstrafe vollstreckt. In dem Maß, in dem das Volk keinen Grund mehr hat, nachdem der Kapitalismus in Westdeutschland einmal erzwungen worden ist, weiterhin aus sich heraus antikommunistisch zu sein, müssen Kommunisten gewaltsam vom Volk isoliert werden: Deshalb fliegen die Linken aus den Betrieben, deshalb wird der Preis immer höher, den die DKP für ihre Legalität zahlen muß – (und es scheint: sie zahlt jeden) -, deshalb droht die chemische Industrie der FU, sie werde FU-Absolventen nicht einstellen, wenn nicht Ruhe und Ordnung an der FU wiederhergestellt werden. In dem Maße, wie der Gedanke der kommunistischen Alternative aufgrund der Widersprüche, die das System selbst erzeugt, an Boden gewinnt, müssen Freiräume, von denen aus er noch propagiert werden könnte, geschlossen werden: Deshalb wird Mandel nicht an die FU gelassen, ruft der Universitätspräsident in Frankfurt die Bullen, damit die Klausuren geschrieben werden, die die Industrie verlangt, hetzt Löwenthal gegen Spartakus, greifen Löwenthal-Kameramänner Studenten an, um jene Krawallszenen ins Bild zu kriegen, die zur Volksverhetzung gebraucht werden.

Nachdem in zehn Jahren Ausländerbeschäftigung in der Bundesrepublik – seit der Mauer 1961 – die Unfallquoten der Ausländer immer noch doppelt so hoch sind wie die der deutschen Arbeiter, die schon hoch genug sind, die Unterkünfte immer noch Ghettos, die Diskriminierung im Betrieb und im Stadtteil immer noch total ist und die ausländischen Arbeiter nun anfangen, sich selbst zu organisieren, um sich besser wehren zu können, wird das Grundgesetz geändert, um die Ausländerorganisationen noch besser überwachen, noch schneller zerschlagen zu können, als das aufgrund des faschistischen Ausländergesetzes und des antikommunistischen Vereinsgesetzes schon möglich ist. Angesichts dieser Entwicklung das bißchen Vorwand, das die Rote Armee Fraktion dem Kapital propagandistisch bietet, für den Kern des Problems zu halten, die Zuspitzung der Klassenkämpfe in kausalen Zusammenhang mit uns zu bringen, das Aufkommen von Rechtsradikalismus für eine Reaktion auf uns zu halten, ist objektiv die Argumentation des Klassenfeindes, ist subjektiv eine ganz oberflächliche Betrachtungsweise, die nur von der äußerlichen Erscheinung der Dinge, so wie die bürgerliche Presse sie darstellt, ausgeht.

Die legale Linke und der Staatsfeind Nr. 1

Die legal arbeitende Linke ist dieser Offensive des Kapitals gegenüber nicht nur defensiv, sie ist auch objektiv ratlos. Sie setzt dem ihre Flugblätter und Zeitungen entgegen, ihre Arbeiteragitation, die besagt, daß das Kapital an allem schuld ist, was ja richtig ist, daß die Arbeiter sich organisieren müssen, die sozialdemokratische Linie in den Gewerkschaften überwinden müssen, lernen, ökonomische Kämpfe zu führen, das Bewußtsein als Klasse zurückgewinnen – was notwendige politische Arbeit ist. Als einzige politische Arbeit ist sie kurzsichtig. Sie sieht die Maschinenpistolen und sagt: den Ökonomischen Kampf entwickeln. Sie sieht die Notstandsübungen und sagt: Klassenbewußtsein. Sie sieht den Faschismus und sagt: die Klassenkämpfe nicht zuspitzen. Sie sieht die Kriegsvorbereitungen und sagt: Bündnispolitik mit dem Mittelstand. Sie sieht die Arbeits- und Bundesarbeitsgerichtsurteile, mit denen zukünftige Streiks illegalisiert werden sollen, und sagt: Legalität. Die Konterrevolution traut sich zu, mit allen Problemen fertig werden zu können, die sie produziert, auch ist ihr kein Mittel zu dreckig dafür. Aber sie kann nicht warten, bis der Faschismus sich wirklich entfaltet hat, die Massen für sie mobilisiert sind, und sie braucht die Gewißheit, daß Bewaffnung und bewaffneter Kampf ihr Monopol bleibt – daß die Wut der Arbeiterklasse, die sie zu provozieren entschlossen sind, diese Idee nicht faßt und mit der Idee die Mittel nicht: die Idee des bewaffneten Kampfes als revolutionäre Guerilla, die aus dem Hinterhalt kämpft und nicht zu fassen ist, die sie zur Rechenschaft zieht, die ihre Polizei demoralisiert, die als Gegengewalt ihrer Gewalt Widerstand leistet. Genscher wäre nicht der Innenminister der herrschenden Klasse, wenn er nicht die unglaublichsten Anstrengungen unternähme, uns ìaus dem Verkehr zu ziehenî, wenn er uns nicht zum Staatsfeind Nr. 1 erklärt hätte, noch bevor wir etwas gemacht haben, was uns als solchen ausweisen würde, wenn er nicht alles, aber auch alles täte, um uns von den Linken, der Arbeiterschaft, der Bevölkerung zu isolieren, wenn er uns nicht ermorden ließe. Das kann nur noch viel schlimmer werden. Aber sie können ihre Kriegsvorbereitungen nicht mehr heimlich durchführen und nicht mehr auf dem Boden ihrer eigenen Legalität, sie sind gezwungen, ihre eigene Ordnung zu brechen und als das aufzutreten, was sie sind: als Feinde des Volkes – und die Linke macht auf einer dialektisch höheren Ebene die richtige Propaganda, als sie sie eigentlich machen will, wenn sie sagt: Der Terror gilt nicht der RAF, sondern der Arbeiterklasse. Natürlich gilt er nicht der RAF, sondern ist Vorbereitung auf bevorstehende Klassenkämpfe. Es geht darum, die Idee des bewaffneten Kampfes mit aller Gewalt, deren das System im Augenblick fähig ist, von der Arbeiterklasse fern zu halten. Nicht wir sind ungeduldig. Das System ist nervös. Das Kapital kann nicht warten, bis sich der Faschismus entfaltet hat, die amerikanische Konkurrenz wartet nicht. Die Hysterie des Systems macht unsere Strategie und Taktik nicht falsch. Sie wird dadurch nicht falsch, daß das System es uns unendlich schwer macht, die Guerilla in den Massen zu verankern. Widerstand zu leisten wird dadurch nicht falsch, daß der Krieg ein langwieriger Krieg ist. Was erwarten die Genossen eigentlich in einem Land, das Auschwitz hat widerstandslos über sich ergehen lassen? Deren Arbeiterbewegung die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung hat und deren Polizei die Geschichte der SS?

ìDie Kommunisten kämpfen für die Erreichung der unmittelbar vorliegenden Zwecke und Interessen der Arbeiterklasse, aber sie vertreten in der gegenwärtigen Bewegung zugleich die Zukunft der Bewegung.î (Kommunistisches Manifest) Das verstehen wir unter DEM VOLK DIENEN. 7

3.

Die Eigentumsfrage und die Militarisierung des Konflikts

Das Argument, die Bundesrepublik sei nicht Lateinamerika, verschleiert die hiesigen Verhältnisse mehr, als daß es sie aufdeckt. Gemeint ist damit -sofern es nicht nur schwatzhaft in die Debatte geworfen wird -: Hier herrscht nicht dieselbe katastrophale Armut wie dort, hier ist der Feind nicht eine ausländische Macht, hier ist das Regime dem Volk nicht so verhaßt, hier herrscht noch keine Militärregierung wie in vielen lateinamerikanischen Staaten. Gemeint ist: Dort sind die Verhältnisse so unerträglich, daß nur noch Gewalt hilft – hier sind die Verhältnisse noch erträglich genug, so daß Gewalt nicht gerechtfertigt ist. In dem Rowohlt-Band ìZerschlagt die Wohlstandsinseln der III. Weltî, in dem auch Marighelas Handbuch über Stadtguerilla abgedruckt ist, heißt es in der Vorbemerkung, die Veröffentlichung geschehe aus Protest gegen Verhaftung und Folter in Brasilien, nicht als Anleitung zum Handeln hier, ìwie schwach und durch die eigene Wirtschaftsordnung gefährdet die parlamentarische Demokratie auch immer sein mag;î – ìDiese Gegengewalt (der lateinamerikanischen Stadtguerillas) gegen das terroristische Herrschaftssystem des Kapitals in einem Land anzuwenden, in dem über Mitbestimmung zumindest diskutiert wird, ist eine Verhöhnung der Verdammten dieser Erde.î Demnach sind Bomben gegen die BASF in Ludwigshafen ein Hohn auf die Bombenleger gegen die BASF in Brasilien. Die lateinamerikanischen Genossen denken anders darüber. Die BASF auch. Das Argument, die Bundesrepublik sei nicht Lateinamerika, wird von Leuten vorgetragen, die aus der Sicht gesicherter Monatseinkünfte das Zeitgeschehen kommentieren, zur Sicherung ihrer Monatseinkünfte; es ist ein Ausdruck der menschlichen Kälte und intellektuellen Arroganz gegenüber den Problemen des Volkes hier. Die bundesrepublikanische Wirklichkeit fällt dabei faktisch und analytisch unter den Tisch. Von der objektiven Aktualität der sozialen Frage, von der subjektiven Aktualität der Eigentumsfrage und von der Militarisierung der Klassenkämpfe ist bei der Analyse der Verhältnisse hier auszugehen.

Armut in der Bundesrepublik

Objektive Aktualität der sozialen Frage heißt: Armut in der Bundesrepublik. Die Tatsache, daß diese Armut weitgehend stumm ist, bedeutet nicht, daß es sie nicht gibt. Die Tatsache, daß aus ihr nicht die Möglichkeit der sozialen Revolution abgeleitet werden kann, ist kein Grund, sich nicht auf sie zu beziehen, so zu tun, als gäbe es sie nicht. Jürgen Roth hat in seinem Buch ìArmut in der Bundesrepublikî das meiste, was zum Thema Armut zu sagen ist, zusammengetragen. Demnach leben in der Bundesrepublik und Westberlin heute 14 Millionen Menschen in Armut: 1,1 Millionen leben in ländlichen Gebieten und müssen mit 100 bis 400 Mark im Monat auskommen, das sind die Familien der Kleinbauern und Altenteiler. 4,66 Millionen Haushalte mit ca. drei Personen verfügen über ein monatliches Nettoeinkommen von weniger als 600 Mark, das sind 21 Prozent aller Haushalte. Über fünf Millionen Rentenabhängige haben eine monatliche Rente bis zu 350 Mark. Hinzu kommen 600000 Bewohner in Armenanstalten, 450000 Nichtseßhafte, 100000 Heimkinder, 100000 Geisteskranke in Anstalten, 50000 Erwachsene in Gefängnissen, 50000 Jugendliche in Fürsorgeerziehung. Das sind offizielle Zahlen. Jeder weiß, daß offizielle Zahlen in diesem Bereich nach unten abgerundet werden. In Bremen bekommen 11000 Menschen Feuerungshilfe, weil sie zu wenig Geld haben, um sich die Kohlen selber zu kaufen. Das Münchner Wohnungsamt rechnet damit, daß die Zahl der Obdachlosen von jetzt 7300 auf 25000 steigen wird. In Köln lebten schon 1963 17000 in Armenanstalten. In der Frankfurter Nordweststadt zahlt man heute für zwei Räume, etwa 60 qm groß, 460 Mark Miete. In der Nordweststadt hängen die Zähler für die Elektrizität in den Kellern. In fast jedem Hochhaus ist mindestens ein Zähler abgestellt, ungeachtet dessen, ob Kleinkinder in der dazugehörigen Wohnung sind oder ob Winter ist. 50 Abschaltungen pro Tag meldet die Stadt Frankfurt, ungefähr 800 Familien wird monatlich der Strom abgestellt. In Frankfurt am Main leben 5000 Penner. Nachts werden sie mit Wasser aus ihren Schlafstätten in der B-Ebene der Hauptwache herausgespritzt. Wenn die Polizei weg ist, kommen sie wieder, legen sich Zeitungen auf den nassen Boden und schlafen weiter. 7 Millionen Wohnungen in der Bundesrepublik haben weder Bad noch Toilette. 800000 Familien leben in Baracken. In Frankfurt gibt es 20000 Wohnungssuchende, in Düsseldorf 30000. 600000 Menschen in der Bundesrepublik sind an Schizophrenie erkrankt. Wenn Schizophrenie nicht behandelt wird, führt sie zu Invalidität. 3 Prozent der Bevölkerung sind durch seelische Erkrankung arbeits- und berufsunfähig. 5 bis 6 Millionen Menschen bedürfen auf irgendeine Art psychischer Hilfe. In einigen psychiatrischen Krankenanstalten geht man von 0,75 qm Platz pro Patient aus. 80 Prozent aller Arbeiterkinder, die nach Ansicht ihrer Lehrer auf die Oberschule gehören, kommen nicht dahin. Armut in der Bundesrepublik ist nicht im Verschwinden, sie ist im Kommen. Die Wohnungsnot wächst. Die Schulnot wächst. Die Kindesmißhandlungen nehmen zu. Ende 1970 wurden 7000 Kindesmißhandlungen gezählt, man nimmt an, daß es in Wirklichkeit 100000 waren. Man nimmt an, daß 1000 Kinder im Jahr totgeprügelt werden. ìSchulen in der Bundesrepublik beschreiben, heißt, Armut in einem reichen Land beschreibenî, sagt Luc Jochimsen in ihrem Buch ìHinterhöfe der Nationî, das anschauliches Material dazu liefert. ìDas öffentliche Erziehungssystem ist ein Elendsbezirk, ausgestattet mit den Merkmalen aller Slums: Mangel, Defizit, Fehlbestand, Überalterung, Überfüllung, Erosion, Unzufriedenheit, Resignation, Abgestumpftsein, Erbarmungslosigkeit.î ìWas heute in den Grundschulen der Bundesrepublik mit sechs- und siebenjährigen Kindern geschieht, läuft auf eine bewußte und für die Zukunft geplante Verweigerung des Rechts auf Bildung und Ausbildung mit Hilfe der allgemeinen Schulpflicht hinaus, ist Erziehungskriminalität. Ein Verbrechen, für das es keine Strafen gibt. Ein Verbrechen, das nicht verfolgt wird.î Im Märkischen Viertel in Berlin lebten 1970 35000 Menschen, 1980 sollen es 140000 sein. Die Leute sagen: ìBrutal sieht das hier aus, ganz gemein, das tötet doch ab, irgendwie – aber innen, die Wohnung ist an und für sich gut geschnitten.î Im Märkischen Viertel fehlt alles: Spielplätze, Verkehrsmittel, Schulen, billige Einkaufsmöglichkeiten, Ärzte, Anwälte. Brutstätten von Armut, Kindsmißhandlungen, Selbstmord, Bandenkriminalität, Verbitterung, Not. Das Märkische Viertel ist soziale Zukunft. (Bürgerliche Autoren, auf deren Ergebnisse wir uns hier beziehen, machen sich nicht die Mühe, ihre Beobachtungen aus den Bewegungen des Kapitals zu analysieren, die Kapitalkonzentration bei Banken, Versicherungen, Haus- und Grundbesitz als Ursache von Verelendung bloßzulegen. Sie arrangieren sich mit ihren Recherchenergebnissen durch verbalen Protest.) Die Aktualität der Armut ist nicht identisch mit der Aktualität der Revolution. Die Armen sind nicht revolutionär, nicht unvermittelt, nicht von sich aus. Ihre Aggressivität richten sie mehr gegen sich als gegen ihre Unterdrücker, Aggressionsobjekt sind die noch Ärmeren, nicht die Nutznießer der Armut, nicht die Wohnungsbaugesellschaften, Banken, Versicherungen, Konzerne, Stadtplaner, sondern deren Opfer. Nicht mobilisierendes, eher deprimierendes, abschreckendes Beispiel, Faschismusmaterial für ìBildî und ZDF. Das ZDF setzt sowas in Szene: In Wiesbadener Slums mußten die Kinder für ein ZDF-Team im Dreck spielen, sich untereinander schlagen, schreien. Die Erwachsenen mußten sich anschreien, aufeinander losgehen. Das Fernsehen gibt dem Satz ìDie Bundesrepublik ist nicht Lateinamerikaî, die Armen in der Bundesrepublik haben selbst schuld, sie sind kriminell, es gibt nur wenige Arme – die anschauliche Evidenz. Die Springerpresse druckt sowas nach. Faschismusmaterial.

Die Aktualität der Eigentumsfrage

Aber die objektive Aktualität der Armut hat subjektiv die Frage des kapitalistischen Eigentums in einem Maß aktualisiert, wie es das seit den ersten Nachkriegsjahren – dem Ahlener Programm der CDU – nicht gegeben hat. Nicht unvermittelt, aber vermittelt. Wenig bei den Armen selbst, aber in der übrigen Gesellschaft, als Bürgerinitiative und als Gemeinplatz weit verbreitet, noch wenig organisiert, vage, aber nicht mehr zu unterdrücken. Daß 20000 Verkehrstote die Opfer des Profitstrebens der Automobilindustrie sind, die ohne Rücksicht auf die Entwicklung des Straßenbaus produziert; daß Versicherungspaläste das Kapital repräsentieren, das sie aus Krankheit schlagen, dessen Kehrseite Krankenhauselend ist; der Widerspruch zwischen der Verschuldung der Gemeinden und der Rendite der Konzerne, die auf ihrem Boden produzieren; zwischen Gastarbeiterausbeutung und Gastarbeiterunterkünften; Kinderelend und den Profiten der Spielzeugindustrie; Miethausprofiten und Miethauselend – das alles sind schon fast Gemeinplätze, der ìSpiegelî ist jede Woche voll davon, ìBildî täglich, in Einzelfällen als Einzelfälle dargestellt, aber so massenhaft wird an diesen Zuständen Anstoß genommen, daß sie nicht mehr verschwiegen werden können. Deutsche-Bank-Sprecher Ulrich jammert über die ìVerteufelung der Gewinneî, über ìdie Angriffe auf unser Wirtschaftssystemî, die ìKritik an den Erträgenî: ìWir alle sind noch immer nicht eindringlich genug, um die Bedeutung der Unternehmergewinne überall verständlich zu machen, ohne die ja in der Freien Marktwirtschaft Fortschritt und Entwicklung unmöglich sindî -daß damit noch Gemeinwohl gemeint sein könnte, nimmt ihm außer den Kapitaleignern selbst kaum einer mehr ab. Eppler 8 will die unpopuläre Erhöhung der Verbrauchssteuern propagandistisch durch Besteuerung der höheren Einkommen absichern. Die CDU hat Angst, daß durch die Ostverträge eine ideologische Aufweichung im Innern der Bundesrepublik die Folge sein könnte – Schröders (9) Hauptargument: Weil die Verteufelung des Kommunismus an Glaubwürdigkeit verlieren könnte, weil Kommunismus heißt: Enteignung, Vergesellschaftung von Produktionsmitteln. Nicht ihren Inhalt bekämpft die CDU, sie bekämpft in den Ostverträgen die ideologische Toleranz einem Gedanken gegenüber, der der Todfeind des Kapitalismus ist. Die Initiativen der Linken nach 1968, sofern sie überhaupt eine größere Basis hatten, hatten die Eigentumsfrage 10 zum Inhalt, stellten einen Angriff auf kapitalistisches Eigentum dar, hatten ihren Reibungspunkt im kapitalistischen Profitstreben, ihren Konsens in der Kritik daran: die Hausbesetzungen in vielen Städten der Bundesrepublik, die Bürgerinitiativen gegen Stadtsanierung, die Initiativen für gemeinnützige Einrichtungen in Stadtrandgebieten – Märkisches Viertel, Frankfurter Nordweststadt, die Bürgerinitiativen gegen Industrieansiedlungen in der Nähe von Wohngebieten. Das Heidelberger SPK (11) hat den Zusammenhang von Krankheit und Kapitalismus so konsequent in einem kollektiven Erkenntnis- und Handlungsprozeß kritisiert, daß die Kader des SPK wegen §129 seit Juli í71 (12) im Gefängnis sitzen. Die Kämpfe der Studenten gegen Prüfungsordnungen, die ihnen das Kapital aufzwingt, selbst die Kampagnen der Jusos gegen Privateigentum in landschaftlichen Erholungsgebieten machen kapitalistisches Eigentum zum Gegenstand der Kritik. Die wichtigsten Streiks waren die im September í69, die sich an den hohen Dividenden des Jahres entzündeten. Die stärkste Kampagne der Studentenbewegung war die gegen den Springerkonzern: ìEnteignet Springerî. Die brutalsten Polizeieinsätze richteten sich gegen die Hausbesetzungen in der Belgiersiedlung in Kassel, wo Frauen und Kinder herausgeprügelt worden sind, gegen die Hausbesetzer in Hannover, die jetzt mit Schadensersatzprozessen fertig gemacht werden. Nach Georgs Ermordung gab es in Berlin einen Aufkleber: ìDie Killerschweine haben unsern Bruder Georg ermordet, weil sie Angst um ihren Zaster haben.î

Sozialdemokratismus und Reformismus

Reformversprechen sind zum Religionsersatz geworden, Opium fürs Volk, das Versprechen auf eine bessere Zukunft, das nur dazu dient, eine psychologische Motivation zugunsten Geduld und Abwarten, Passivität zu liefern. Mit den Anstrengungen, die nötig wären, um Reformen durchzusetzen, könnte man die Revolution selber machen. Wer den Leuten was anderes erzählt, wie die Jusos, und wer die Jusos für die Kraft hält, die wirksame Reformen durchsetzen wird, verkennt die Widerstandskraft des Systems, seine Entschlossenheit, die Gesellschaft an die Verwertungsbedingungen des Kapitals anzupassen und nicht umgekehrt, und längst nicht mehr nur ìmit allen Mitteln des Rechtsstaatsî, verkennt vor allem, daß die Jusos in erster Linie die junge Generation der Sozialdemokraten sind. Ein Unterschied zwischen SPD und CDU besteht trotzdem. Sie schätzen die Arbeiterklasse, das Volk verschieden ein. Die SPD sagt: Zuckerbrot und Peitsche. Die CDU will lieber nur die Peitsche. Die SPD, erfahrener darin, wie man die Arbeiterklasse an der Nase herumführt, Wehner 13, erfahrener darin, wie man die Linken austrickst und austreibt, Brandt, erfahrener darin, wie man sich an die Spitze einer Bewegung stellt, um sie besser abwürgen zu können (die Anti-Atombewegung in Berlin 1958 z.B.) – sie trauen sich mehr Taktieren gegenüber dem Volk zu als die CDU. Die SPD hat die Amnestie durchgesetzt, damit für sich die Gefahr von Solidarisierungen an Studentenprozessen gebannt, die Kontinuität der Kritik an der Justiz unterbrochen, die Linken gegenüber der Justiz und Administration entsolidarisiert und schmeißt sie jetzt, wo es deswegen keinen Aufstand mehr gibt, einzeln aus dem Staatsdienst. Mit ihrer Ostpolitik hält sie sich die Kritik am Scheitern ihrer Reformpolitik vom Hals. Der Berliner Senat hat bei der Besetzung des Bethanienkrankenhauses und Umbenennung in Georg-von-Rauch-Haus die Polizei nicht eingesetzt, stattdessen den Linken das Wasser abgegraben, indem sie es in Senatsregie übernahm. Heinemann hat wegen der Proteste gegen seinen Persienbesuch noch die diplomatische Augenkrankheit gekriegt; während Brandt fuhr, war das Verbot der Ausländerorganisationen schon in Arbeit. Die SPD ist sich des Einflusses, den sie über die Gewerkschaften auf die Arbeiter hat, sicherer, als es die CDU sein kann, die den Gewerkschaften mißtraut, ihren Funktionsmechanismen: Kapitalbildung durch freiwillige Mitgliederbeiträge statt durch Mehrwertschröpfung. Und Posser (14) nimmt mancher die Lüge noch ab, Mahler sei ìMitmenschî, während Brigitte Asdonk in seinem Wirkungsbereich mißhandelt wurde. Den Unterschied zwischen SPD und CDU haben einige Genossen als den zwischen Pest und Cholera definiert. Dazwischen hat das westdeutsche Volk die freie Wahl. Um den gesellschaftlichen Status quo zu halten, rüstet das System auf. Status quo halten heißt: durch europäische Unternehmenskonzentration der amerikanischen Konkurrenz standhalten; durch Grundlagenforschung mit Steuergeldern die Profitraten hoch halten; durch Kapitalexport die Märkte, durch Waffenlieferungen in die Dritten Welt die Befreiungsbewegungen in Schach, durch Auslandsproduktion die Löhne hier niedrig halten; die Siemenshauptversammlung von Kritik an der Carbora-Bassa-Beteiligung frei halten; dem Schah die Kritik an der Todesstrafe in Persien vom Hals halten; Status quo halten heißt: diejenigen, die arm sind, von denen, die die Eigentumsfrage stellen, getrennt halten; die Arbeiterklasse gespalten halten; die Arbeiterklasse durch Vermögensbildung und Reformversprechen hinhalten; die Behauptungen aufrecht halten: Konsumeigentum ist gleich Produktionsmitteleigentum; jeder Angriff auf Privateigentum ist den anderen gleich; alle Angriffe auf Privateigentum sind kriminell; die kapitalistische Produktionsweise ist eine natürliche Angelegenheit; sie ist die beste unter den möglichen und die beste, die man sich denken kann; Kapitalismuskritik dient partikularistischen, egoistischen Interessen einzelner und einzelner Gruppen; an der Inflation sind die Löhne schuld; Unternehmergewinne dienen dem Allgemeinwohl; wer anderer Ansicht ist, ist verstiegen, ist isoliert und letzten Endes kriminell. Das ist der Status quo der Besitzverhältnisse und Ideen, der ohne die Militarisierung der Klassenkämpfe und die Kriminalisierung der Linken nicht gehalten werden kann.

Die Springerpresse

Die Rolle der Springerpresse bei der Militarisierung der Klassenkämpfe ist schon 1968 in der Kampagne ìEnteignet Springerî genau beschrieben worden: ìMan kann das Schema, nach dem die Springerpresse Öffentlichkeit produziert, auf folgende einfache Formel bringen: Jeden Befreiungsversuch der Menschen aus den Zwängen des Spätkapitalismus stellt die Springerpresse als Verbrechen dar. Der politische Revolutionär erhält die Attribute des Gewaltverbrechers. Der politische Kampf erscheint als individualistischer und abstrakter Terror, die imperialistischen Verhinderungsfeldzüge als Ungeziefervertilgungsaktion.î ìDer Springerkonzern bildet die propagandistische Vorhut des aggressiven Antikommunismus. Die Springerpresse ist der Feind der Arbeiterklasse. Sie verstümmelt die Fähigkeit zum politischen Willensausdruck und zum solidarischen Handeln. Aus dem Wunsch des Lesers nach Gerechtigkeit macht die Springerpresse Lynchinstinkte, aus der Sehnsucht nach einer freien Gesellschaft den Haß gegen diejenigen, die sie errichten wollen. Die Springerpresse dient der psychologischen Kriegsvorbereitung. Durch die Feindkonstruktionen will sie sagen: Wenn ihr euch jemals rührt, wenn ihr Scheidungen nicht dem Scheidungsanwalt, Lohnerhöhungen nicht den Tarifverhandlungen, Wohnungen nicht dem Wohnungsamt, Ungerechtigkeiten nicht dem Richter, eure Sicherheit nicht der Polizei, euer Schicksal nicht dem Spätkapitalismus überlaßt, dann kommt Mord, Folter, Vergewaltigung und Verbrechen.î (aus: Untergang der Bildzeitung)

Die Situation hat sich seit der Molotowcocktailveranstaltung im Februar í6815 verschärft. ìBildî hat die Spalte ìBild kämpft für Sie!î eingeführt, und ìBildî meldet tägliche Erfolge von der Kampffront gegen Mietwucher, gegen Ausländerkriminalisierung, gegen Kinderreiche-Familien-Kündigungen, gegen Frührentner- und Rentnerverzweiflung. Noch bevor sich die ausgebeuteten Massen von den Institutionen des Rechtsstaates abwenden, hat ìBildî sich von ihnen abgewandt; noch bevor sich die Unzufriedenheit mit den Institutionen des Klassenstaates als Klassenbewußtsein konstituieren kann, stellt ìBildî sich an die Spitze der Unzufriedenheit, dahin, wo die Nazis 1933 standen, berufen vom Kapital, nicht vom Proletariat. Böll hat das faschistisch genannt, um Mißverständnissen vorzubeugen: ìVerhetzung, Lüge, Dreck.î Er hat damit analytisch und politisch den Nagel auf den Kopf getroffen. Die Reaktionen zeigten, wie empfindlich das System geworden ist, wie labil der Status quo, wie faschistisch ìBildî, wie nervös das Klima im Springerkonzern.

Die Dialektik von Revolution und Konterrevolution

Es ist nicht die Frage, ob wir die reaktionäre Militarisierung wollen oder nicht, es ist die Frage, ob wir die Verhältnisse, die sie zur faschistischen Militarisierung zwingen, zur revolutionären Mobilisierung ausnutzen können, ob es uns gelingen kann, die reaktionäre Militarisierung in eine revolutionäre umzuwandeln, ob es besser ist, ìsich einfach hinzulegen und zu sterben oder aufzustehen und Widerstand zu leistenî. (Kim Il Sung) Die meisten sagen: Es geht nicht. Die meisten sagen: Die Massen wollen nicht. Viele sagen, jetzt kämpfen, heißt den Faschismus provozieren. Böll sagt: ìSechs gegen 60000000 – das Kapital hat alles, wir hätten nichts.î Sie haben nur den Status quo vor Augen. Sie sehen in der Gewalttätigkeit des Systems nur die Gewalttätigkeit, nicht seine Angst. Sie sehen in der Militarisierung nur die Waffen, nicht das Abbröckeln ihrer Massenbasis. Sie sehen in der Hetze von ìBildî nur die Hetze, nicht die Unzufriedenheit der ìBildî-Leser; sie sehen in dem Bullen mit der MP nur den Bullen mit der MP, nicht das Ausbleiben faschistischer Massenaufmärsche; sie sehen in dem Terror gegen uns nur den Terror, nicht die Angst vor der sozialen Explosivkraft der RAF, die sie ìim Keim erstickenî müssen. Sie sehen in der politischen Apathie des Proletariats nur die Apathie, nicht den Protest gegen ein System, für das es sich nicht zu engagieren lohnt; sie sehen in der hohen Selbstmordquote des Proletariats nur den Akt der Verzweiflung, nicht den Protest. Sie sehen in der Unlust des Proletariats zum ökonomischen Kampf nur die Unlust zum Kampf, nicht die Weigerung, für läppische Prozente und blöden Konsum zu kämpfen. Sie sehen in der gewerkschaftlichen Unorganisiertheit des Proletariats nur die Unorganisiertheit, nicht das Mißtrauen gegen die Gewerkschaftsbürokratien als Komplizen des Kapitals. Sie sehen in der Aggressivität der Bevölkerung gegen die Linken nur die Aggressivität gegen die Linken, nicht den Haß auf die sozial Privilegierten. Sie sehen in unserer Isolierung von den Massen nur unsere Isolierung von den Massen, nicht die wahnwitzigen Anstrengungen, die das System unternimmt, um uns von den Massen zu isolieren. Sie sehen in der langen Untersuchungshaft der Genossen nur die lange Untersuchungshaft, nicht die Angst des Systems vor den freien Genossen der RAF. Sie sehen im Rausschmiß von DKP-Lehrern nur das Ende des Marsches durch die Institutionen, nicht den Anfang der Revolutionierung der Kinder und Eltern, die erstickt werden soll. Sie sehen in allem nur die gegenwärtige Bewegung, nicht die zukünftige, nur das Schlechte, nicht das Gute: die Dialektik von Revolution und Konterrevolution. Wir sagen nicht, daß es leicht ist, Guerilla zu machen, daß die Massen nur darauf warten, sich der Guerilla anzuschließen. Wir glauben aber vor allem nicht, daß die Situation von selbst umschlägt. Wir glauben nicht, daß die Guerilla aus Massenkämpfen spontan entstehen kann, wir halten solche Vorstellungen für unrealistisch. Eine aus Massenkämpfen spontan entstehende Guerilla ist das Blutbad, nicht die Guerilla. Wir glauben nicht, daß die Guerilla sich als ìillegaler Stabî einer legalen Organisation bilden kann. Der illegale Stab würde zur Illegalisierung der Organisation führen, d.h. ihrer Liquidation, sonst nichts. Wir glauben nicht, daß der Begriff von der Guerilla von selbst aus politischer Arbeit entstehen kann. Wir glauben, daß die Möglichkeiten und spezifischen Funktionen der Guerilla im Klassenkampf erst dadurch kollektiv denkbar, kollektiv faßbar werden, daß die Guerilla da ist, angesichts des Terrors der Bewußtseinsindustrie. Wir haben gesagt: Erfolgsmeldungen über uns können nur heißen: verhaftet oder tot. Wir meinen damit, daß die Guerilla sich ausbreiten wird, Fuß fassen wird, daß die Entwicklung der Klassenkämpfe selbst das Konzept durchsetzen wird, aber nur dann, wenn es noch welche gibt, die es tun, die handeln, die nicht demoralisiert sind, die sich nicht einfach hinlegen. Wir meinen, daß die Idee der Guerilla, die Mao, Fidel, Che, Giap 16, Marighela entwickelt haben, eine gute Idee ist, daß niemand sie mehr vom Tisch fegen kann, daß man die Schwierigkeiten, sie praktisch durchzusetzen, unterschätzt hat, wenn man vor den Schwierigkeiten, mit denen wir zu kämpfen haben, nur erschrickt, daß das auch eine Unterschätzung der Schwierigkeiten beinhaltet, mit denen die Guerilla, wo sie schon weiter und in den Massen verankert ist, zu kämpfen hat. Wir meinen, daß das Berührungsangst ist vor dem Eingeständnis dessen, was das Kapital zu inszenieren bereit ist, wenn es um die Sicherung seiner Verwertungsbedingungen geht, womit es nie gezögert hat: In der Pariser Kommune nicht, 1918 in Deutschland nicht, 1933 nicht, in Algerien, Vietnam, Kongo, Kuba, Lateinamerika, Mozambique, Attika (17), Los Angeles, Kent (18), Augsburg und Hamburg nicht.

Die Eigentumsfrage in allen Bewegungen zur Hauptfrage machen! Gegen die reaktionäre Militarisierung die revolutionäre Guerilla propagieren!

ìKeine Partei kann sich als revolutionär bezeichnen, wenn sie sich nicht auf den bewaffneten Kampf vorbereitet, und zwar auf allen Stufen der Partei. Das ist das einzige Mittel, der Reaktion auf jeder Etappe des Revolutionsprozesses mit einem Maximum an Wirksamkeit entgegenzutreten. Jede Vernachlässigung dieses Standpunktes kann dazu führen, sich die Chancen einer revolutionären Situation entgehen zu lassen.î (Aus: 30 Fragen an einen Tupamaro) Das verstehen wir unter DEM VOLK DIENEN!

4.

Über aktuelle Einzelfragen

Ruhlandprozeß

Gäbe es in der Bundesrepublik noch eine liberale Presse, der Prozeß wäre ein Skandal gewesen. Ruhland 19 war nie so nah an der Roten Armee Fraktion dran, wie er es darstellt. Seine Beflissenheit, seine Berufung auf Ermittlungsergebnisse statt die eigene Erinnerung, die Tatsache, daß Mahlers Verteidiger Schily zu diesem Prozeß nicht zugelassen worden ist, die Tatsache, daß von Prozeßbeginn an feststand, daß es ein Urteil geben werde, das weder Bundesanwaltschaft noch Pflichtverteidigung anfechten würden (die ìFAZî berichtete darüber), eine Verhandlungsführung, die der ìFrankfurter Rundschauî so vorkommt, ìals bespreche ein netter Lehrer mit einem sympathischen Schüler ein längst bekanntes Stückî – daß das alles mit Wahrheitsfindung und Rechtsstaatlichkeit überhaupt nichts mehr zu tun hat, ist überdeutlich. Die Beteuerung, Ruhland sage bestimmt die Wahrheit, die Drohung, die Leute, die er belastet, sagten nicht die Wahrheit, das Vorurteil, wer mit der Klassenjustiz nicht kollaboriert, belaste sich selbst – eben das ist Klassenjustiz, ist Schauprozeß, macht ihn – funktional überladen – zum Bestandteil der allgemeinen Offensive des Kapitals gegen die Linke als Vorhut der Arbeiterklasse in der Bundesrepublik und Westberlin. Einer am Klassenwiderspruch sich zunehmend polarisierenden Öffentlichkeit kann man V-Leute, wie früher in den Kommunistenprozessen, wie Urbach 20, nicht mehr anbieten. Die linke Öffentlichkeit soll mit dem Kronzeugen aus der Retorte der Sicherungsgruppe Bonn eingeschüchtert werden und wird es sicher auch. Wer dabei vollends in Arsch geht, ist Ruhland selbst, seitdem er Freund und Feind nicht mehr unterscheiden kann, oben nicht von unten, die Revolution nicht von der Konterrevolution, sich armes Schwein nicht von denen, die das mit ihm abziehen. Stadtguerilla machen heißt, sich von der Gewalt des Systems nicht demoralisieren zu lassen. Es gibt keinen Grund, sich von einem Prozeß, der uns politisch und moralisch recht gibt, deswegen demoralisieren zu lassen, weil er eben zu diesem Zweck veranstaltet worden ist. Der Ruhlandprozeß ist nur ein sehr äußerliches Ereignis innerhalb der historischen Entwicklung, innerhalb der Entwicklung der Klassenkämpfe, innerhalb derer es richtig ist, Stadtguerilla zu machen.

Über Verrat

Es gibt Leute, die meinen, an dem, was Homann 21 und Gen. so herumerzählen, könnte was Wahres dran sein. Zumindest Homann, meinen sie, habe doch nicht nur Stroh im Hirn. Sie nehmen ihn als das, als was er sich im ìSpiegelî präsentiert hat: als ìpolitisch Gebildetenî; zum gleichen Wortschatz gehören Verführer und Verführte. Mit dem Klassengegensatz haben diese Attribute nichts zu tun, eine Aussage wird dadurch nicht richtig, daß ein Gebildeter sie macht, daß einer sie macht, der auf die Techniken von ìSpiegelî-Journalisten eingehen kann. Das ist das Wesen des Marxismus, der Dialektik von Sein und Bewußtsein, daß Aussage bei der Polizei und richtige Auskunft über revolutionäre Strategie einander ausschließen. Marxismus kann nur von Marxisten gelehrt werden, hat Margharita von Brentano (22) dem ìSpiegelî erklärt, was Mandel zu sagen hat, kann Schwan (23) nicht buchstabieren. Über Möglichkeiten der gesellschaftlichen Veränderung kann, wer am Status quo interessiert ist, keine Auskunft geben. Das ist aber die Verfassung des Verräters, daß er am Status quo interessiert ist, daß er zurück will an seinen angestammten Platz in der Klassengesellschaft, daß er sich unter veränderten Bedingungen nicht zurecht findet, nur in seinem gewohnten Milieu Identität hat, Objekt der Entwicklung bleiben will. Ruhland fühlt sich in seiner alten Rolle als krimineller Proletarier wohl, in Handschellen und ausgebeutet. Homann in der Rolle des lumpenproletarisch-verlorenen Sohnes, der wie eh und je auf dem Strich der Bourgeoisie – beim ìSpiegelî und ìkonkretî – seine Haut, keinen interessanten Aspekt in dieser Angelegenheit zu Markte trägt; die Sturm (24) ist von einem Seitensprung heimgekehrt in den Schoß der Familie. Ruhland bleibt Opfer, Homann Konsument, der Ungebildete zahlt zu, der Gebildete profitiert – der Klassenunterschied ist wieder hergestellt, die Legalität, der scheinbare Naturzustand. Die ìFAZî schreibt über Homann: ì… Journalist und bildender Künstler mit politisch nicht geschulter, aber sensibler Intelligenzî; über Ruhland: ì… er will kein Bösewicht sein, er ist vielleicht ein Biedermann von arglosem Gemüt. Gegenüber seinen Bewachern im Gerichtssaal, den beiden jungen Schutzpolizeibeamten, hat er ein ganz natürliches, kameradschaftliches Gebarenî. Die psychische Verfassung des Verräters ist käuflich und konservativ. Die konservative ìFAZî sympathisiert mit Sohn und Gesinde. Wir haben die falsche Faszination, die Illegalität hat, unterschätzt. Wir haben die Verbindlichkeit, mit der einige Organisationen arbeiten, überschätzt. Das heißt, wir haben nicht alle Implikationen der Studentenbewegung als einer Bewegung relativ Privilegierter berücksichtigt, nicht genug beachtet, daß für viele und wie viele von der Politisierung der Jahre 67/68 nicht mehr übrig geblieben ist als eine neue Möglichkeit, sich zu privilegieren. Insofern es natürlich auch sehr angenehm sein kann, ein bißchen Marxismus zu kennen, durchzublicken, über die ökonomischen Bedingungen von Herrschaft und ihre psychischen Vermittlungen ein bißchen aufgeklärt zu sein, entlastet vom selbstquälerischen Leistungsdruck eines bürgerlichen Über-Ichs, von entfremdeten Umgangsformen. Marxismus als Inventarstück intellektuellen Wohl- und Besitzstandes, erworben aufgrund von Privilegierung, nicht sozialisiert, um dem Volk zu dienen. Die Bevorzugung gewisser Handlungen wegen ihrer Illegalität ist Ausdruck eben jenes bürgerlichen Eigennutzes, von dem die Studentenbewegung von ihren Voraussetzungen her nicht frei sein konnte, von Mitläufer- und Söldnermentalität. Die mühsame, langwierige Kleinarbeit der Stadtguerilla, die ihre Existenz mit allem, was dazu gehört, überhaupt erstmal aufbauen muß, muß Leuten, die so falsch programmiert dazu stoßen, in der Tat zum Horrortrip werden. Wer mit kriminellen Vorstellungen daher kommt, wer nur seine persönliche Lage verbessern will, wird sie mit einer gewissen Zwangsläufigkeit durch Verrat verbessern. Wir haben geglaubt, daß, wenn einer sagt, er habe in der und der Organisation so und so lange mitgearbeitet, dann weiß der, was politische Arbeit ist, was Verbindlichkeit, sonst hätten die ihn schon gefeuert. Wir wissen jetzt, daß wir den Begriff von politischer Verbindlichkeit, der die Voraussetzung für Stadtguerilla ist, selbst zu vermitteln haben, daß wir Fehler machen, wenn wir uns einfach auf andere verlassen. Wir meinen allerdings, daß es für uns sehr schwer sein wird, allein durch die Vermeidung unserer Fehler die Verräterei zu verhindern. Wir meinen, daß ein falscher Begriff von der Funktion der Polizei und der Justiz, ein falscher Begriff von DEM VOLK DIENEN, eine falsche Behandlung der Widersprüche innerhalb der neuen Linken die Verräterei begünstigt hat. Solange Verräter noch bei Genossen landen können, nicht mal die Fresse voll kriegen, sogar noch Verständnis dafür finden, daß sie um der schnellen Rekonstruktion ihrer bürgerlichen Existenz willen anderer Existenz vernichten, weil sie keinen Tag länger im Knast aushalten konnten, andere für Jahre reinbringen, andere den Exekutionskommandos der Polizei ausliefern; solange die Zusammenarbeit mit der bewaffneten Macht des Kapitals immer noch eher toleriert wird als eine politische Meinungsverschiedenheit, privat geduldet wird, was man politisch längst verurteilt hat – solange wird es Verräterei geben. Ohne den Liberalismus innerhalb der Linken zu kritisieren, können wir die Verräterei nicht abschaffen. Verräter müssen aus den Reihen der Revolution ausgeschlossen werden. Toleranz gegenüber Verrätern produziert neuen Verrat. Verräter in den Reihen der Revolution richten mehr Schaden an, als die Polizei ohne sie anrichten kann. Wir meinen, das gilt allgemein. Von der Drohung, sie würden dann noch mehr verraten, darf man sich dabei nicht bestimmen. Von der Tatsache, daß sie arme Schweine sind, darf man sich nicht erpressen lassen. Das Kapital wird Menschen solange zu armen Schweinen machen, bis wir seine Herrschaft abgeschafft haben. Wir sind für die Verbrechen des Kapitals nicht verantwortlich.

Über Bankraub

Manche sagen: Bankraub ist nicht politisch. Aber seit wann ist die Frage der Finanzierung einer politischen Organisation keine politische Frage. Die Stadtguerillas in Lateinamerika nennen Bankraub ìEnteignungsaktionenî. Niemand behauptet, daß der Bankraub für sich an der Ausbeuterordnung etwas ändert. Für die revolutionäre Organisation bedeutet er erstmal nur die Lösung ihres Finanzierungsproblems. Er ist logistisch richtig, weil anders das Finanzierungsproblem gar nicht zu lösen ist. Er ist politisch richtig, weil er eine Enteignungsaktion ist. Er ist taktisch richtig, weil er eine proletarische Aktion ist. Er ist strategisch richtig, weil er der Finanzierung der Guerilla dient. Ein Politikbegriff, der sich von der parlamentarischen Demokratie herleitet, der Politikbegriff des Konkurrenzkapitalismus, der den Klassenantagonismus nur als Spiel der Kräfte erfaßt, der die Institutionen des Klassenstaates noch für Institutionen eines Rechtsstaats hält und Fortschritt und Humanität darin für gut aufgehoben, kann Bankraub nicht erfassen. In den Metropolen des Imperialismus kann die Organisierung des antiimperialistischen Kampfes als gleichzeitig legalem und illegalem, politischem und bewaffnetem Kampf auf den Bankraub nicht verzichten. Er gibt die Richtung an, die gemeint ist: Enteignung; und die Methode, mit der die Diktatur des Volkes gegen die Feinde des Volkes nur errichtet werden kann: bewaffnet.

Über Logistik und Kontinuität

Vielen Genossen imponieren die Aktionen der Tupamaros. Sie verstehen nicht, warum wir keine populären Aktionen machen, uns stattdessen mit Logistik beschäftigen. Sie machen sich nicht die Mühe, sich vorzustellen, was Stadtguerilla ist und wie das funktioniert. Es ist wahrscheinlich schon Bosheit, wenn die Genossen die Meinung von Ruhlands Düsseldorfer Richter nachbeten, Ruhland sei der Handwerker und Knacker des Haufens gewesen. Abstrakt ist ihnen das Problem kapitalistischer Arbeitsteilung schon begegnet, praktisch stellen sie sich den proletarischen Genossen immer noch als den All-round-Handwerker aus der oberschlesischen Idylle vor. Daß die technischen Mittel nur in einem kollektiven Arbeits- und Lernprozeß beschafft werden können, daß Stadtguerilla tendenziell die Aufhebung von Arbeitsteilung sein muß, soll nicht die Verhaftung eines einzelnen die Katastrophe für alle sein – soweit reicht die Phantasie der Genossen nicht. Ohne die logistischen Probleme teilweise gelöst zu haben, ohne sich selbst bei der Lösung logistischer Probleme kennengelernt zu haben, ohne in kollektiven Lernprozessen kollektive Arbeitsprozesse eingeleitet zu haben, wird der Ausgang von Aktionen technisch, psychisch und politisch dem Zufall überlassen. Die Lösung der logistischen Probleme schließt die Sicherung der Kontinuität der revolutionären Organisation ein. Wir messen der taktischen Aufgabe, die Kontinuität der Roten Armee Fraktion zu sichern, große Bedeutung bei. So wie es das Interesse des Kapitals ist, zu teilen, zu unterbrechen, zu entsolidarisieren, zu isolieren, geschichtliche Zusammenhänge zu leugnen -im Bereich der Produktion wie im Bereich des Wohnens, des Verkehrs, der Meinungsbildung, der Erziehung -, um die Kontinuität der Profite zu sichern, so ist in allem das Gegenteil das Interesse der proletarischen Revolution: Einheit, Kontinuität, Geschichts- und Klassenbewußtsein. Ohne organisatorische Kontinuität, ohne die Ergebnisse revolutionärer Prozesse permanent organisatorisch zu sichern, überläßt man revolutionäre Prozesse der Anarchie des Systems, dem Zufall, geschichtsloser Spontaneität. – Die Vernachlässigung der Frage der organisatorischen Kontinuität halten wir für eine Erscheinungsform des Opportunismus.

Über Solidarität

Der revolutionäre Prozeß ist eben deswegen einer, weil er die Gesetze kapitalistischer Warenproduktion und Austauschs sich zum Objekt macht und nicht ihr Objekt ist. Er kann nicht mit den Kriterien dieses Marktes gemessen werden. Er kann nur mit den Kriterien gemessen werden, die gleichzeitig die Erfolgskriterien dieses Marktes außer Kraft setzen. Solidarität, indem sie nicht von den Kriterien des Marktes ausgeht, setzt diese außer Kraft. Solidarität ist politisch, nicht erst als Solidarität mit Politischen, sondern als Weigerung, nur unter dem Büttel des Wertgesetzes, nur unter dem Aspekt von Tauschwert zu handeln. Solidarität ist ihrem Wesen nach herrschaftsfreies Handeln, als solches immer Widerstand gegen den Einfluß der herrschenden Klasse auf die Beziehungen der Menschen zueinander, als Widerstand gegen die herrschende Klasse immer richtig. Im Sinne des Systems sind Leute, deren Handlungen sich nicht an den Erfolgskriterien des Systems orientieren, Ausgeflippte und Trottel oder Versager. Im Sinne der Revolution ist jeder, der sich solidarisch verhält, wer es auch sei, ein Genosse. Solidarität wird zur Waffe, wenn sie organisiert und konsequent angewendet wird: gegenüber Gerichten, Polizei, Behörden, Vorgesetzten, Spitzeln, Verrätern. Wenn jede Zusammenarbeit mit denen verweigert wird, ihnen keine Mühe erspart, kein Beweis erleichtert, keine Information geschenkt, kein Aufwand abgenommen wird. Zur Solidarität gehört: den Liberalismus innerhalb der Linken bekämpfen, Widersprüche innerhalb der Linken wie Widersprüche im Volk behandeln und nicht so, als seien sie der Klassenwiderspruch. Jede politische Arbeit ist auf Solidarität angewiesen. Ohne Solidarität ist sie der Repression schutzlos ausgeliefert. ìWir müssen nach Möglichkeit unnötige Opfer vermeiden. Alle Menschen in den Reihen der Revolution müssen füreinander sorgen, müssen sich liebevoll zueinander verhalten, einander helfen.î

DEM VOLK DIENEN! DIE EIGENTUMSFRAGE ÜBERALL ZUR HAUPTFRAGE MACHEN! DEN BEWAFFNETEN KAMPF UNTERSTÜTZEN! DIE REVOLUTIONÄRE GUERILLA AUFBAUEN! SIEG IM VOLKSKRIEG!

ìDer bewaffnete Kampf ist eine technische Angelegenheit und erfordert deshalb technische Kenntnisse: Ausbildung, Kampfmoral und schließlich Praxis. Auf diesem Gebiet kostet die Improvisation viele Menschenleben und führt zu Fehlschlägen. Die »Spontaneität«, mit der sich diejenigen brüsten, die vage von der Revolution des Volkes, »der Massen«, reden, ist entweder einfach eine Ausrede oder besteht darin, sich in der entscheidenden Phase des Klassenkampfes auf die Improvisation zu verlassen. Jede avantgardistische Bewegung muß, wenn sie im entscheidenden Augenblick des Kampfes sich selbst treu bleiben will, eingreifen und es verstehen, die Gewalt des Volkes gegen die Unterdrückung technisch in die richtigen Bahnen zu lenken, damit das Ziel mit möglichst wenig Verlusten erreicht wird.î ALLE MACHT DEM VOLK!